Ein Spaziergang durch das zauberhafte Brügge
Sie sind selten, aber es gibt Orte, die alle Sinne berühren, die einem unter die Haut gehen. Stätten, die einen direkt ins Herz treffen, auch wenn man sie nie völlig ergründen kann. Brügge ist so ein einmaliger Ort. Geprägt von Kultur und Kunst, kosmopolitisch und ungeniert lebensgenießerisch, aber auch mysteriös mittelalterlich und zu alle dem auch noch UNESCO Weltkulturerbestadt. Wenn man durch die gewundenen Gassen Brügges schlendert, entlang den stimmungsvollen Grachten oder durch die grünen Festungsanlagen, kann man sich in ihre geheimnisumwobene Eleganz nur hoffnungslos verlieben.
Im 15. Jahrhundert wurde Brügge von burgundischen Herzögen regiert, die die Stadt kulturell, architektonisch und wirtschaftlich zu hoher Blüte brachten. Gegen Ende des Mittelalters war Brügge die reichste Stadt Nordeuropas. Der Tod der geliebten Maria von Burgund im Jahr 1482 läutete den plötzlichen Wandel ein. Die Beziehungen zwischen Brügge und dem verwitweten Maximilian verschlechterten sich und der burgundische Hof verließ die Stadt. Die Händler aus aller Welt schlossen sich an. Es folgten lange Jahrhunderte mit Kriegen und wechselnder Macht. Mitte des 19. Jahrhunderts war Brügge eine arme, verelendete Stadt. Heute jedoch profitiert Brügge von dem jahrhundertelangen Stillstand, da der mittelalterliche Stadtkern unverbaut erhalten geblieben ist und die Grundlage für den Tourismus bildet.
Burg und Rathaus (Stadhuis) sind Zeugen mittelalterlichen Reichtums. Die Burg ist einer der schönsten Plätze der Stadt. Im Rathaus aus dem 14. Jahrhundert, eines der ältesten der Niederlande, wird Brügge seit über 600 Jahren verwaltet. All die Zeit beherrschte dieses geschichtsträchtige Gebäude den imponierenden Platz. Nirgendwo erwacht der Reichtum Brügges so zum Leben. An das Rathaus schließt sich die frühere Stadtkanzlei an. Obwohl erst 1537 vollendet, changiert ihre Fassade immer noch zwischen Spätgotik und Renaissance. Der Burgplatz wird nach Süden durch die klassizistisch geläuterte Barockfassade des ehemaligen Gerichtshofs (Gerechtshof) abgeschlossen. Das Gebäude beherbergt nicht nur das Fremdenverkehrsbüro, sondern auch das Museum des Brügger Freiamts (Provinciaal Museum van het Brugse Vrije).
Die Heiligblutbasilika (Heiligbloedbasiliek) ist eine Doppelkapelle; die romanische St. Basilius-Kapelle bildet sozusagen den Unterbau der oberen Kapelle im gotischen Stil. Die untere Kapelle wurde im 12. Jahrhundert durch den Grafen Dietrich von Elsass erbaut und ist damit das älteste Gebäude von Brügge. 1150 soll der Legende nach eben dieser Graf einige Tropfen des Blutes Jesu Christi von einem Kreuzzug aus Jerusalem mitgebracht haben. Die Reliquie wird seither in der Heiligblutbasilika aufbewahrt. Jeden Freitag wird die Reliquie den Gläubigen zur Verehrung dargeboten. Einmal im Jahr verlässt sie ihren angestammten Platz und wird in einer prächtigen Prozession durch die Stadt getragen.
Im Herzen der Stadt steht direkt am Marktplatz das Wahrzeichen und zugleich das beliebteste Postkartenmotiv von Brügge, der Belfried (Belfort) mit der Stadthalle. Vom Turm kann man einen unverbauten Blick über die gesamte Altstadt geniessen. Brügges Belfried ersteht mitten aus der Hallenfront, drei Geschosse führt er über sie hinaus, verjüngt sich Stockwerk für Stockwerk und strebt zuletzt achteckig in die Höhe. Mochte nun die Halle mit ihrem unteren Geschoß dem Handel und Wandel, mit ihrem oberen der Verwaltung und den Banketten vorbehalten sein – der Turm war das ragende Symbol städtischer Freiheit und das Kennzeichen flandrischen Gemeinwesens: Hier kamen die Schöffen zusammen, hier lagen die Stadturkunden. Im Belfried hingen die Glocken, welche die (Arbeits-)Zeit ansagten; vom Belfried aus kontrollierten die Turmwächter das Umland und warnten vor dem Feind.
Auch heute noch liegt der Markt im Mittelpunkt des Geschehens. An rebellische Zeiten erinnert das 1887 aufgestellte Denkmal in der Platzmitte. Es ehrt Jan Breidel und Pieter de Coninck, die 1302 den Aufstand gegen die französischen Besatzer und das Brügger Aufgebot in die Goldsporenschlacht anführten. Die vier Reliefs am Sockel des Denkmals vergegenwärtigen die wichtigsten Ereignisse dieser Erhebung, darunter auch die Brügger Mette. Sie fand am 18. Mai 1302 statt, einen Tag nach dem Einmarsch des französischen Gouverneurs Jacques de Châtillon. Ihm hatten die Patrizier die flandrische Metropole übergeben, nicht ohne vorher die ›aufrührerischten Elemente‹ auszuweisen. Dennoch fürchteten viele die Rache der schwer bewaffneten Franzosen. In der Nacht rief man daher die Verbannten zurück, damit sie der Stadt Beistand leisteten. Der Ruf ›Schutz und Freund‹ (‚schild en vriend‘) erfüllte die Straßen. Die im tiefem Schlummer überraschten Franzosen wurden in einem Blutbad förmlich niedergemetzelt.
Die Liebfrauenkirche (Onze-Lieve-Vrouwekerk), deren Anfänge in das frühe 13. Jahrhundert zurückreichen, gehört stilistisch zu den frühesten Backsteinsarchitekturen in Flandern. Das zunächst dreischiffige Langhaus entstand zwischen 1210 und 1230. Die zwei filigranen Treppentürme an der Westfassade datieren um 1280. In der um diese Zeit bereits begonnenen zweiten Bauphase entstanden Querhaus, Chor und der in ungewohnter Weise nördlich des Langhauses platzierte mächtige Turm von 1320, der mit 122,3 Meter Höhe das südliche Stadtbild prägt. 1345 wurde dem Langhaus ein zweites nördliches Schiff angefügt, 1450-1474 entstand sein Gegenstück im Süden.
Der Brügger Beginenhof (Begijnhof) entstand etwa 1230 durch eine Stiftung der flandrischen Gräfin Johanna von Konstantinopel. Die Häuschen des Ordens stammen aus seiner späten Blütezeit im 17. und 18. Jahrhundert. Der Beginenhof besteht aus einem um einen Innenhof gruppierten architektonischen Ensemble, bestehend aus kleinen Wohnhäusern der Beginen, einer Kapelle, Nebengebäuden und einem Versammlungsraum. Der Innenhof ist als idyllischer Nutz- und Ziergarten bzw. Grünanlage gestaltet. Die Anlage ist durch Mauern oder Wassergräben klar von dem Rest der Stadt abgegrenzt. Der Beginenhof in Brügge dient heute einer Gemeinschaft von Benediktinerinnen als Kloster.
Bei der Fahrt auf den hier Reien genannten Grachten, die wie Blutbahnen die Stadt durchziehen, entdeckt man versteckte Gärten, malerische Brücken und wunderschöne Stillleben. Es scheint fast unmöglich, aber die schönsten Brügger Eckchen gewinnen noch an Reiz, wenn man sie vom Wasser aus bewundert. Es empfiehlt sich auch ein Spaziergang zu einem der traulichsten Winkel Brügges, dem Minnewater. Vorzeiten diente er als Binnenhafen; dafür bauten die Brügger 1519 das 1893 restaurierte Schleusenhaus. Umrahmt von Trauerweiden schieben hier heute nur noch die Schwäne kleine Bugwellen vor sich her.
Das Juan-Luis-Vives-Denkmal in Brügge
Juan Luis Vives (* 6. März 1492 in Valencia; † 6. Mai 1540 in Brügge) war ein spanischer Humanist, Philosoph und Lehrer. Seine Eltern waren zwangsgetaufte Juden. Der Vater wurde durch die spanische Inquisition auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die Gebeine der Mutter wurden 24 Jahre nach ihrem Tod aus dem christlichen Friedhof wieder ausgegraben und nachträglich auf einem Autodafé verbrannt. Vives studierte von 1509 bis 1512 Philosophie und Theologie an der Sorbonne in Paris, wo er mit den Gedanken des Humanismus in Kontakt kam. 1512 zog er von Paris nach Brügge, wo er die Tochter einer spanischen Kaufmannsfamilie unterrichtete, die er 1524 heiratete. Ab 1516 hielt sich Vives hauptsächlich in Leuven (Löwen) auf, wo er schließlich eine Lehrerlaubnis an der Universität erhielt. 1523 wurde er an den englischen Hof gerufen, wo er die Tochter von Heinrich VIII., spätere Königin Maria I., unterrichtete. 1527 kam es zum Zerwürfnis mit dem englischen König. Er verlor die königliche Protektion, nachdem er sich gegen des Königs Scheidung von Katharina von Aragón ausgesprochen hatte, wobei er Partei für die verstoßene Ehefrau ergriff. Für sechs Wochen wurde er deswegen unter Hausarrest gestellt und anschließend aus dem Lande verwiesen. Nach Brügge zurückgekehrt lebte er dort, von Kaiser Karl V. durch eine kleine Rente unterstützt, bis zu seinem Tod. Vives plädierte für Sachwissen, Erkenntnisse der Naturwissenschaften und Nutzbarmachung der Natur. Er forderte die Abschaffung veralteter Methoden im Erziehungs- und Lehrwesen, setzte sich als erster für das Recht der Frauen auf umfangreiche Erziehung und Bildung ein und verfasste Schriften über die Versorgung der Armen und der Bevölkerung durch den Staat.